Links & Law - Information about legal aspects of search engines, linking and framing

Hyperlink & Search Engine Law News  Decisions & Court Documents Worldwide Legal Resources (Hyperlink & Search Engine Law Articles) Linking Law Cases Search Engine Law Publications by Dr. Stephan Ott Technical    Background

 

Mitverschulden durch Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes

BGH vom 12.12.00

Fundstelle: NJW 01, 1485 f

 

Sachverhalt

Nach einem Chat mit Gleichgesinnten Mazda-Fans, eilt M beschwingt zu seinem grauen MX 5, um sich unter blauem Himmel den Wind um die Nase wehen zu lassen. Mit Stolz geschwelgter Brust flitzt er durch Wald und Flur, immer auf der Suche nach neuen Abenteuern. Wie der Zufall es will, wird er mit 180 auf der
Landstraße geblitzt und nach der nächsten Kurve angehalten. Vor ihm steht das hübscheste weibliche Wesen in Polizeikluft, das er  jemals zu Gesicht bekam: eine hochgewachsene, schlanke Blondine, die ihn mit tiefblauen Augen eiskalt mustert. Trotz seiner Irritiertheit, hervorgerufen durch diese bezaubernde Jeannie, versucht M unter Einsatz seines ganzen Charmes - der ihn bisher,  von Kinokartenverkäuferinnen einmal abgesehen, nie im Stich gelassen hat  - die ihm gemachten Vorwürfe zu bagatellisieren. Das bißchen Geschwindigkeitsübertretung sowie das ziellose Herumgefahre durch Stadt und Land seien doch halb so wild. Er wäre bayrischer Jurist und könne ihr bei einem gemeinsamen Abendessen die Sachlage detailliert erklären. Leider faßt die junge Dame dieses (Annäherungs)Angebot als Bestechungsversuch auf und fügt diesen den anderen Vergehen hinzu. Als ob diese Abfuhr nicht schon genug Qualen verursacht hätte, wird auch noch sein Führerschein sichergestellt, so dass er mit dem Abschleppwagen zur Kanzlei fahren muss. Eine Niederlage für M, dafür ein neuer Fall für die Kanzlei.

Von S muß sich M wenig später auch noch anhören, daß zumindest sein zielloses Herumgefahre wirklich ein hohes Bußgeld nach sich ziehen werde (§ 30 I 3 StVO: Unnützes Hin- und Herfahren ist innerhalb von geschlossenen Ortschaften verboten, wenn andere davon belästigt werden). Da verstehen die Behörden schließlich keinen Spaß. Gerade auf MX-5 Fahrer wären sie besonders scharf, ist doch hinlänglich bekannt, daß diese immer unter dem Deckmantel einer "Probefahrt" quer durch die Stadt düsen und dabei möchtegerncoole Sonnenbrillen tragen. 

Doch damit noch nicht genug: Als ihn W mit seinem Auto heimfährt und sie gerade an einer Ampel halten müssen, traut M seinen Augen kaum, als die ihm schon bekannte Blondine neben dem Auto auftaucht. Von ihrer Schönheit noch immer betört, bekommt er gar nicht richtig mit, wie sie ihm etwas von einem nicht angelegten Sicherheitsgurt erzählt und eine erneuten Geldbuße verhängt. Erst als er einige Minuten später wieder bei klarem Verstand ist, wird ihm bewußt, daß er über den Tisch gezogen wurde. Schließlich hatte er den Gurt angelegt und nur beim Halten den Gurt kurz gelöst, um besser an einen Gegenstand auf der Rückbank heranzukommen. Da war aber schon die Blondine aufgetaucht. Dieses Verhalten könne nun wirklich nicht gegen die StVO verstoßen!

 

Wie ist denn  die rechtliche Lage? Kann es einem bei einem Schadensersatzanspruch als Mitverschulden ausgelegt werden, wenn man den Sicherheitsgurt nicht angelegt hat, aber das Fahrzeug auch nicht in Bewegung war?

 

 

Lösung

1. Das BerGer. geht zwar mit der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats zutreffend davon aus, dass
einem Kfz-Insassen, der den Sicherheitsgurt nicht anlegt, grundsätzlich ein Mitverschulden (§ 254 1 BGB) an seinen
infolge der Nichtanlegung des Gurtes erlittenen Unfallverletzungen zur Last fällt...  Rechtsfehlerfrei nimmt es auch an, dass der Schädiger dem Unfallopfer ein Nichtanschnallen nicht als Mitverschulden vorhalten kann, wenn im konkreten Fall eine Gurtanlegepflicht nach § 21 a 1 1 StVO nicht bestand oder eine Ausnahme i. S. des § 21 a 1 2 StVO vorlag.... Die Erwägungen, mit denen das BerGer. im vorliegenden Fall eine Gurtanlegepflicht des Kl. im Unfallzeitpunkt verneint hat, halten jedoch revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

2. Der Beurteilung des BerGer. der Kl. sei nicht zum Anlegen des Sicherheitsgurtes nach 21 a 1 1 StVO verpflichtet gewesen, weil das von ihm geführte Fahrzeug im Unfallzeitpunkt gestanden habe, kann aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden. Allerdings wird die Formulierung "während der Fahrt" in dieser Vorschrift in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich verstanden. Die vom BerGer. favorisierte Meinung versteht hierunter unter Hinweis auf die vermeintliche Eindeutigkeit des Wortes "Fahrt" nur den Zustand der Bewegung des Fahrzeugs, der beim - auch nur kurzzeitigen Anhalten nicht gegeben sei.... Nach der Gegenansicht ist der Begriff der "Fahrt" weiter zu verstehen und umfasst auch kurzzeitige verkehrsbedingte Fahrtunterbrechungen.... 

Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Der Begriff der Fahrt ist nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht eindeutig. Hierunter ist, wie unter anderem die Verwendung dieses Begriffs in der für die Führung von Fahrtenbüchern maßgeblichen Vorschrift des § 31 a StVZO zeigt, nicht nur der bloße Zustand des Fahrens zu verstehen, den die Straßenverkehrsordnung in der Regel mit dem entsprechenden Tätigkeitswort "fahren" oder seinen Abwandlungen umschreibt (vgl. §§ 2 ff.), sondern auch der Gesamtvorgang der Benutzung des Kraftfahrzeugs als Beförderungsmittel im Straßenverkehr, um von einem Ort zum anderen zu gelangen....  Dieser einheitliche Vorgang wird nicht dadurch beendet, dass das Fahrzeug vor dem Rotlicht einer Ampelanlage, einem Stopschild oder durch sonstige verkehrsbedingte Umstände vorübergehend angehalten wird.

Einer solchen Auslegung des Begriffs Fahrt i.S. des § 21 a 1 1 StVO gebührt bereits deshalb der Vorzug, weil es mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift, durch die Einführung einer Anschnallpflicht die Zahl der Verkehrstoten und (Schwer-)Verletzten zu senken, schlechterdings unvereinbar wäre, gefahrenträchtige Situationen verkehrsbedingten Anhaltens hiervon auszunehmen. Etwas anderes läßt sich auch nicht aus § 21 a 1 2 Nr. 3 StVO herleiten, wonach auch Fahrten mit Schrittgeschwindigkeit von der Anschnallpflicht ausgenommen sind ... Dass in dieser Ausnahmevorschrift ebenfalls von "Fahrten" und nicht vom "Fahren" und von Beispielsfällen wie Rückwärtsfahren und Fahren auf Parkplätzen die Rede ist, spricht dafür, unter Fahrten mit Schrittgeschwindigkeit" nur solche Verkehrsvorgänge zu verstehen, die von vornherein nur auf das Fahren mit Schrittgeschwindigkeit angelegt und außerdem weniger gefahrenträchtig sind, weil sie sich abseits des fließenden Verkehrs oder im Übergangsbereich zwischen fließendem und ruhendem Verkehr abspielen.... Deshalb kommt es letztlich auch nicht darauf an, ob der Kl. ... im Unfallzeitpunkt bereits hinter dem vor ihm haltenden Fahrzeug völlig zum Stillstand gekommen war oder noch mit Schrittgeschwindigkeit auf dieses Zufuhr.

3. Soweit das BerGer. eine Gurtanlegepflicht für den Fahrer eines Werttransporters "in entsprechender Anwendung
des Rechtsgedankens" aus § 21 a 1 2 Nr. 1 StVO verneint, kann dem aus Rechtsgründen ebenfalls nicht beigetreten werden. Gegen eine Analogie spricht bereits, dass die in §§ 21 a 1 2 und 46 I 1 Nr. 5 StVO geregelten Falle Ausnahmen darstellen, an die strenge Anforderungen zu stellen sind .... Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass in der Nichtberücksichtigung anderer Berufsgruppen als Taxi- oder Mietwagenfahrerin eine planwidrige Gesetzeslücke vorliegt, die einer Ausfüllung durch die Rechtsprechung zugänglich wäre.

Im Übrigen fehlt es an einer Vergleichbarkeit der Fälle. Nach der amtlichen Begründung  hielt der Gesetzgeber die Befreiung der Taxi- und Mietwagenfahrer von der Gurtanlegepflicht bei der Fahrgastbeforderung für geboten, weil feststand, dass schon wiederholt Angehörige dieser Berufsgruppe einem Anschlag auf ihr Leben nur deshalb entgehen konnten, weil sie sich aus der geöffneten Tür ihres Fahrzeugs fallen ließen Die Revision macht mit Recht geltend, dass der Fahrer eines Werttransporters im Gegensatz zu Taxi- oder Mietwagenfahrern keinen entsprechenden Gefahren aus dem Innern des Fahrzeugs ausgesetzt ist. Ob der Fahrer eines Werttransporters Gefahren für Leib oder Leben, die ihm bei einem verkehrsbedingten Anhalten von außerhalb seines gepanzerten Fahrzeugs drohen, ebenfalls besser ohne angelegten Sicherheitsgurt begegnen könnte, bedarf keiner Entscheidung, zumal entsprechende Gefahren wegen der im Taxi oder Mietwagen befindlichen Geldbeträge den Gesetzgeber ebenfalls nicht bewogen haben, deren Fahrer bei Leerfahrten von der Gurtanlegepflicht zu befreien.

4. Das BerGer. wird mithin Feststellungen zu der Behauptung der Bekl. nachzuholen haben, der Kl. habe im Unfallzeitpunkt den Sicherheitsgurt nicht angelegt gehabt und deshalb seine unfallbedingten Verletzungen mitverschuldet.


presented by allY and jOhn

 

Über die Decisions of the Week:

Diese Geschichtensammlung ist während meiner Promotion an der Uni Bayreuth entstanden und erzählt die Geschichte der Kanzleien R2DO und YO.

Übersicht

 

 

 

 

Masthead/Curriculum Vitae
Copyright © 2002-2008 Dr. Stephan Ott 

All Rights Reserved.

 

Google