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Schadensersatz für das Ziehen eines Zahns bei Jugendlichen

OLG Hamm vom 13.3.01

Fundstelle: NJW 2001, 3417 f.

 

Sachverhalt

Es war schon tief in der Nacht, als sich im Kanzleigebäude von YO seltsames zutrug. Obwohl S in seinem Bett noch immer wegen starker Schmerzen aufgrund seines abgetöteten Zahnnervs wach lag und zur Ablenkung im Buch "1001 Fälle, in denen Zahnärzte zu Schmerzensgeld verurteilt wurden" blätterte, bekam er nicht mit, was ein Stockwerk tiefer in allYs Büro vor sich ging. Leise wurde die Tür zu dem Büro geöffnet und jemand machte sich darüber, die Unterlagen auf ihrem Schreibtisch zu untersuchen. Nach einiger Zeit schien dieser jemand fündig geworden zu sein und entnahm einem Buch mit der vielversprechenden Aufschrift "Tagebuch" einige Notizzettel, studierte sie ausgiebig und verließ das Büro eiligst wieder so, wie er es vorgefunden hatte.

Der Zettel, der die Aufmerksamkeit des Fremden gefunden hatte, war die Verfassung von allY

Art. 1: Grundrecht auf unglückliches Leben

(I) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Jeder hat das Recht auf ein unglückliches, vom Pech verfolgtes Leben und darf in der Ecke schmollen.

(II) Die folgenden Rechte binden Familienmitglieder, Arbeitskollegen, Freunde und jeden, der mein Traummann werden will als unmittelbar geltendes Recht.

Art. 2: Jeder darf alles, aber nur wenn ich nichts anderes sage 

(I) Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, soweit er dadurch nicht meine Gefühle verletzt oder sich sonst über mich lächerlich macht oder lächerlich zu machen scheint.

(II) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, eklige Spinnen und sonstiges Kleingetier einmal ausgenommen. Die Freiheit der Person ist unverletzlich, außer wenn er Aufträge für mich ausführt, insbesondere meine Kaffeetasse zurückträgt. In die genannten Rechte darf nur aufgrund einer ausdrücklichen Anweisung von mir eingegriffen werden.

Art. 3: Alle sind gleich, manche sind gleicher 

(I) Alle Menschen sind vor mir gleich. Na ja, fast alle. Alle Ausnahmen sind in der Verordnung zur Bestimmung meines Traummannes festgelegt. (Anmerkung des Verfassers: Im neusten Guiness-Buch der Rekorde wird die Verordnung als längste der Geschichte aufgeführt)

(II) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist zu fördern, auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuarbeiten. Jede Gelegenheit, sich von einem Mann zu trennen und ihn in seinem Ego zu verletzen, ist zu nutzen.

(III) Ich darf nicht wegen meiner Anschauungen, meines Geschmacks, meiner Examensnote, meines Glaubens oder meines Gejammers benachteiligt werden. Bevorzugungen sind erlaubt und erwünscht.

Art. 4: Glaubt was ihr wollt, aber glaubt mir

(I) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses ist unverletzlich. 

(II) Niemand darf gegen sein Gewissen zu meinem Traummann bestimmt werden.

Art. 5: Quasselt so viel ihr wollt, nur nicht über mich

(I) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild zu äußern, solange er mir nicht ins Wort fällt und nichts schlechtes, also unwahres über mich verbreitet. Gerüchte und sonstige Informationen sind unverzüglich an mich weiterzuleiten. Nichts darf ich als Letzte erfahren. Jeder darf sich bei mir nach den neuesten Gerüchten erkundigen. Die Freiheit der Berichterstattung über mich im Rahmen der Decisions wird gewährleistet. Eine Zensur der Geschichten über W findet nicht statt. 

(II) Ich darf jammern, soviel, solange und über wen ich will. Den Ausführungen ist mit dem nötigen Respekt vor meinen Problemen und genügend Ausdauer zu folgen.

(III) Dieser Rechte finden ihre Grenze in den Bestimmungen zum Schutz meiner Ehre. Die Freiheit der Rede entbindet nicht von der Treue zu mir.

(IV) Kunst und Wissenschaft sind frei. Jeder darf seiner Kreativität freien Lauf lassen und malen was er will. Anweisungen Anderer sind zu ignorieren, es sei denn, diese erfolgen in meinem Interesse.

Art. 6: Gemeinsam einsam 

(I) Ehe und Familie sind frei. Die Hochzeit dient dem Erstellen von Hochzeitsfotos und als Grund für Kinder. Heirat aus anderen Motiven ist unsinnig. 

(II) Ein Leben ohne Männer ist langweilig. Da Männer aber auch den Ursprung vieler Probleme darstellen können, ist die Tauglichkeit zur Zweisamkeit in einem Zwei-Stufen-Verfahren zu ermitteln. Grundsätzlich erfordert die Einleitung des sog. Vorverfahrens insbesondere, daß sie nicht unbedingt Jurist sind, über 30 Jahre alt sind, Geld haben, das sie für mich ausgeben wollen, mir Kontovollmacht erteilen, mein Gejammer aushalten, sportlich und attraktiv sind, mich zum Lachen bringen, mich spontan in Las Vegas heiraten würden,  mir jeden Wunsch von den Augen ablesen können, nie mehr Ausschau nach anderen Frauen halten, mich intellektuell befriedigen, sie kulturell interessiert sind, mich bei Gesellschaftsspielen gewinnen lassen, mich nicht auf der Straße einfach stehen lassen, mir beim Tanzen nicht auf die Füße steigen, sie muskulös sind und einen Waschbrettbauch haben,  sie einen Universitätsabschluß haben, nie über meine Wohnung meckern würden und nie einen Witz über mein Alter machen. (Anmerkung des Verfassers: Wer kann das alles schon nicht von sich behaupten?)  Die Erfüllung sämtlicher Voraussetzungen begründet keinerlei Ansprüche. Im übrigen ist das Verfahren im einzelnen in einer Durchführungsverordnung zu regeln.

(III) Kinder haben kein Anrecht auf meinen Nachnamen. 

Art. 7: Trefft euch, aber nicht ohne mich

Jeder hat das Recht, sich friedlich und ohne B zu versammeln, sofern er mich vorher darüber informiert. Versammlungen unter freiem Himmel sind unzulässig, wenn es mir zu kalt wäre. 

Art. 8: S gehört mir!

Jeder hat das Recht, Vereine und Gesellschaften zu gründen. Der Betrieb einer Kanzlei mit S ist nur mir gestattet.

Vereinigungen, deren Zweck der Konkurrenz meiner Kanzlei dienen, sind von vorneherein ohne Aussicht auf Erfolg und verboten. 

Art. 9: Ihr arbeitet zwar eh nicht ...

(I) Jeder hat das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Einschränkung des Art. 8 ist zu beachten. Jeder hat mich einzustellen, wenn ich es für richtig halte!

(II) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, es sei denn im Rahmen eines von mir erteilten Auftrags.

Art. 10: Alles was in meinem Leben schön ist

(I) Die Wohnung ist unverletzlich. Jeder hat Anspruch auf eine Häckeldecke. Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß meine Wohnung im Ganzen oder in Teilen nicht höchsten ästhetischen Anforderungen entspricht, so darf das nicht ausgesprochen werden.

(II) Beschwerden über die Matraze dürfen nur von mir angebracht werden, bei Gefahr im Verzug auch von meinem Traummann.

Art. 11: Ich will alles!

(I) Das Eigentum wird gewährleistet. 

(II) Eigentum verpflichtet. Traummänner haben mir nur echten Schmuck zu schenken und Kontovollmacht einzuräumen. Eine Enteignung zu meinem Wohl ist nicht erforderlich.

 

S war inzwischen bei der Stelle angelangt, bei der ein Zahnarzt 8 Zähne gezogen hatte, obwohl dies nach Ansicht des Klägers nicht medizinisch indiziert war und auch nur die Entfernung von 2 Zähnen mit ihm besprochen worden war.

 

 

Lösung

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Aus den Gründen: Der Kl. hat gegen die Erben des Bekl. zu 2 Schadensersatzansprüche aus den §§ 847, 823, 1967 BGB und gegen alle Bekl. - die Feststellung materieller Schäden betreffend wegen Schlechterfüllung des ärztlichen Behandlungsvertrags.

Ein Behandlungsfehler ist darin zu sehen, dass am 15. 11. 1995 keine medizinische Indikation zur Extraktion der Zähne 11, 12, 14, 17, 21, 23 im Oberkiefer und zur Extraktion der Zähne 36 und 46 im Unterkiefer vorgelegen hat. In der Beurteilung des Behandlungsgeschehens macht sich der Senat die Feststellungen der Sachverständigen Prof. Dr. A und Privatdozent Dr. B, die ihre Gutachten überzeugend erläutert haben, zu eigen.

Dabei kann die Frage dahinstehen, ob der damals 16-jährge Kl. und dessen Mutter der Entfernung von insgesamt zehn Zähnen zugestimmt oder diese Entfernung sogar ausdrücklich gewünscht haben. Allein die Zustimmung oder der Wunsch eines Patienten kann die Zahnextraktion grundsätzlich nicht indizieren. Dies gilt erst recht bei einem 16-jährigen Patienten, wenn dieser den unterstellten - Wunsch auf Entfernung einer Vielzahl von Zähnen äußern sollte.

Für die Indikation von Zahnextraktionen ist zwischen der Erhaltungsfähigkeit und der Erhaltungswürdigkeit zu differenzieren. Eine Zahnextraktion ist dann indiziert, wenn der Zahn nicht erhaltungsfähig ist. Nicht erhaltungsfähig seien, so die Sachverständigen, nur die Zähne 15 und 22 gewesen. Die Indikation zur Entfernung dieser Zähne wird vom Kl. nicht bestritten.

Dagegen ergibt sich die Erhaltungsunfähigkeit der acht weiteren, am 15. 11. 1995 gezogenen Zähne weder aus dem Röntgenbefund (OPG) vom 3. 11. 1995 noch aus dem dokumentierten klinischen Befund. Dabei haben die Sachverständigen und - ihnen folgend - der Senat berücksichtigt, dass sich eine kariöse Erkrankung anhand von Röntgenbildern nicht in dem Umfang erschließt, wie dies bei einem klinischen Befund möglich ist. Aus diesem Grund ist der klinische Zustand in Verbindung mit der bildgebenden Diagnostik aussagekräftiger. Insoweit hat sich der Senat auch vergegenwärtigt, dass nur der behandelnde Arzt, der verstorbene Bekl. zu 2, Kenntnis von diesem aussagekräftigen Befund hatte. Aus dem dokumentierten klinischen Befund vom, 3. 11. 1995 ergibt sich nur, dass die Zähne 11, 12, 14, 17, 21 und 23 als tief zerstört bezeichnet worden sind. Die Ausdehnung der kariösen Defekte ist nicht niedergelegt. Die Zähne 36 und 46 werden in der Dokumentation nicht erwähnt. Von der Erhaltungsfähigkeit der acht Zähne ist demnach auszugehen.

Streitig ist zwischen den Parteien, ob die acht Zähne erhaltungswürdig waren. Die Frage der Erhaltungswürdigkeit wurde von dem verstorbenen Bekl. zu 2 allein auf Grund des Behandlungstermins vom 3. 11. 1995 verneint und damit zugleich die Indikation zur Extraktion bejaht. Diese Indikationsstellung war fehlerhaft, weil der verstorbene Bekl. zu 2 damit von dem hier zu fordernden zahnmedizinischen Standard abgewichen ist.

Beide Sachverständige haben im Senatstermin überzeugend dargelegt, dass die Motivierbarkeit eines Patienten zur Mund- und Zahnhygiene für die erhaltungsfähigen Zähnegrundsätzlich nicht auf Grund nur eines Behandlungstermins
hätte ausgeschlossen und die sofortige Extraktion nicht hätte durchgeführt werden dürfen. Auch wenn diese Vorgehensweise in der Praxis zum Teil üblich sei, so entspreche sie nicht gutem zahnärztlichen Standard. Die Erhaltungswürdigkeit der in Rede stehenden acht Zähne ist von dem verstorbenen Bekl. zu 2 ohne die gebotene Abklärung verneint worden.
Die Abklärung der Motivierbarkeit eines Patienten zur Mund- und Zahnhygiene ist deshalb geboten, weil der Zahn-
arzt, so der Sachverständige Privatdozent Dr. B, Entscheidungskriterien für die Frage der Erhaltungswürdigkeit haben will und dringend braucht. Es mag zwar Patienten geben, so der Sachverständige Prof. Dr. A im Senatstermin, bei denen die Erhaltungswürdigkeit von erhaltungsfähigen Zähnen schon bei der ersten Behandlung - ausnahmsweise - sicher ausgeschlossen werden kann. Eine solche Ausnahme aber liegt bei einem 16-jährigen Patienten erkennbar nicht vor.
Vielmehr hätte der behandelnde Zahnarzt zumindest versuchen müssen, das Verständnis dieses jugendlichen-Patienten zur Mund- und Zahnhygiene zu entwickeln. An einem solchen Versuch fehlt es.

Für die nicht indizierte Entfernung von sechs Zähnen im Oberkiefer und zwei Zähnen im Unterkiefer hält der Senat unter besonderer Berücksichtigung des jugendlichen Alters des Kl. ein Schmerzensgeld von 30 000 DM für angemessen und ausreichend. Dabei weist der Senat darauf hin, dass die Gerichte nicht gem.. § 308 ZPO an die Begehrensvorstellung der klagenden Partei gebunden sind, sondern diese bei einem unbezifferten Schmerzensgeldantrag auch deutlich überschreiten dürfen (BGHZ 132, 341 = NJW 1996, 2425; v. Gerlach VersR 2000, 525; Senat, Urt. v. 23. 4. 1997 - 3 U 99/96).

Der Senat ist auf Grund des persönlichen Eindrucks, den der Kl. im Senatstermin gemacht hat, davon überzeugt, dass er psychisch stark unter dem Gebisszustand - herausnehmbare Oberkieferprothese - leidet.

Als Mitglieder der Gemeinschaftspraxis haften die Bekl. zu 1 und 3 dem Kl. - neben den Erben des Bekl. zu 2 - für die materiellen Schäden, weil anzunehmen ist, dass der Kl. damals - vertreten durch seine Mutter - zu allen Praxisinhabern in vertragliche Beziehung treten wollte (vgl. BGHZ 142,126 = NJW 1999,2731; BGH, NJW 2000,2737).

 

presented by allY and jOhn

 

 

Über die Decisions of the Week:

Diese Geschichtensammlung ist während meiner Promotion an der Uni Bayreuth entstanden und erzählt die Geschichte der Kanzleien R2DO und YO.

Übersicht

 

 

 

 

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