Es ist Freitag Nachmittag und draußen
scheint herrlich die Sonne. S sitzt zufrieden in seinem Büro. Es war
eine sehr erfolgreiche Woche für ihn und er freut sich auf sein
Wochendende, um mal so richtig auszuspannen. Doch plötzlich
platzt allY aufgeregt und
mit einer Akte in der Hand in sein Büro.
"Du weißt gar nicht, was passiert ist. Ich habe heute Abend ein
Date!" Guter Witz, denkt sich S. Ein date und allY.
Doch scheint es tatsächlich wahr zu sein. Ein alter Bekannter von ihr
sei in der Stadt und sie habe ihn zufällig getroffen. Sie sei schon
immer ein wenig in ihn verliebt gewesen, nur habe sie dies erst heute
gemerkt: er sei ja so erfolgreich in seinem Job, er sei attraktiv und
noch dazu wieder Single. Indem er sie heute Abend zum Essen
eingeladen habe, habe er auch guten Geschmack bewiesen. "Ich muss
dringend nach Hause und mich vorbereiten. Eine solche Chance darf ich
nicht verpassen. Übernehme doch bitte meinen Termin." Es sei
eine Scheidungssache. Bevor S etwas erwidern kann, ist allY
schon weg. Also gut, er kann es ja nicht ändern. Etwa eine Stunde später
erscheint allY's Mandantin
in der Kanzlei. S bittet sie in sein Büro und ist angenehm überrascht.
Denn die Mandantin macht auf ihn nicht den Eindruck, als wolle sie
ihrem Ehemann das letzte Hemd wegnehmen. Um die Atmosphäre ein wenig
aufzulockern, bietet S der Mandantin zunächst eine Tasse Kaffee und
ein Stück Erbeerkuchen an. Sie nimmt dankend an und erzählt ihm,
dass sie sich unwohl fühle. Denn nie hätte sie sich gedacht, sie würde
sich mal von ihrem Ehemann scheiden lassen wollen. "Es ist
sicherlich kein leichter Schritt" meint S in einem verständnisvollen
Ton. "Erzählen Sie mir doch, aus welchem Grund Sie die Scheidung
einreichen wollen."
Vor fünf Jahren habe sie ihren jetzigen Ehemann geheiratet und für
ihn ihren Beruf als Kindergärtnerin aufgegeben, um für seine Kinder
aus erster Ehe zu sorgen. Ihr Ehemann habe von Anfang an gewußt, dass
sie eigene Kinder haben wollte. Nur haben seine Kinder, die im
Zeitpunkt der Heirat 4 und 2 Jahre alt gewesen seine, immer Priorität
gehabt. Sie habe Verständnis dafür gehabt und sich auch wie deren
Mutter gefühlt. Vor einem Jahr aber seien die Kinder zu der
leiblichen Mutter, die kurz nach der Scheidung nach Australien
ausgewandert sei, gezogen. Sie habe gehofft, dass die Zeit für eigene
Kinder endlich gekommen sei. Leider habe sie sich geirrt. Ihr Ehemann,
ein erfolgreicher Chirurg, denke nur an seine Karriere und wolle von
Kindern plötzlich nichts mehr wissen. Schließlich habe er schon
zwei. Nachdem sie alles erfolglos versucht habe, ihn doch noch zu überreden,
sei sie letzte Woche ausgezogen und wolle die Scheidung. Sie sei
bereits 34 und wolle die Chance auf eigene gesunde Kinder nicht gefährden.
Die biologische Uhr, denkt sich S.
S versteht die Beweggründe der Mandantin und verspricht ihr, alles in
seiner Macht stehende zu tun, um die Scheidung erfolgreich über die Bühne
zu bringen und das Beste für die Mandantin herauszuholen. Laut
Ehevertrag, den die Mandantin vorgelegt hat, hätte sie im Falle einer
Scheidung zwar keine Ansprüche. Doch solle sie sich davon nicht
verunsichern lassen. Die Wirksamkeit eines solchen Ehevertrages sei
seiner Meinung nach höchst fraglich.
Dabei glaubt S seinen eigenen Ohren nicht. Nomalerweise predigt er allY
immer, sie solle bei Scheidungsangelegenheiten zu allererst versuchen,
eine Vermittlungsrolle einzunehmen. Nur weil die Parteien einen Anwalt
aufsuchen, bedeute dies nicht immer, dass die Scheidung beschlossene
Sache sei. Niemand solle eine Ehe "zerstören", die noch zu
retten gewesen wäre. In diesem Fall aber will S von seinen eigenen
Ratschlägen nichts wissen. Diese Frau, die gerade vor ihm sitzt, hat
ihn vom ersten Augenblick an tief beeindruckt. Es muss Schicksal
gewesen sein, dass allY gerade
heute ihre vermeintlich alte Liebe getroffen hat. Denn er sollte die
Bekanntschaft dieser Frau machen. Beim Abschied schaut sie ihm tief in
die Augen, während sie seine Hand schüttelt ...
Die Namensdiskussion in der Kanzlei R2DO3 hält an. Nachdem sich B
schweren Herzens von "Blauderauswienix" als Name für seinen
Sohn verabschieden mußte und sich von dem Vorschlag "Paul"
von A (die übrigens Anmerkung des Verfassers nicht
schwanger ist) so angetan zeigt, verbringt er seine Zeit im
Büro damit, sich zu überlegen, welches Tier als besonders
gesprächig bekannt ist, um das als Name in Betracht zu ziehen. Was
also ist das Gegenteil von einem Fisch? Papagei R.? Aber darf man sein
Kind überhaupt nach einem Tier benennen? Kann es etwa Möwe heißen?
Könnte der Sohn eines anderen Kanzleimitglieds "Fisch" oder
"Hamster" heißen?
Lösung
.
1. Die Beteiligte zu 1) möchte
ihrer 1984 in Würzburg nichtehelich geborenen Tochter die Vornamen
Felicitas Moewe geben. Der Standesbeamte hat hiergegen Bedenken. Er hat
den Vorgang deshalb über die Standesamtsaufsicht dem AG Würzburg zur
Prüfung der Eintragungsfähigkeit des Vornamens Moewe vorgelegt. Dieses
wies den Standesbeamten am 23. 1. 1985 an, den Vornamen Moewe nicht in
das Geburtenbuch des Kindes einzutragen.
Auf die Beschwerde der Mutter hörte das Landgericht die Eltern mündlich
an. Mit Beschluß vom 21. 8. 1985 (veröffentlicht in StAZ 1986, 44)
wies es die Beschwerde zurück. Zur Begründung führte es aus, die
Bezeichnung Moewe habe keinen Namenscharakter, sondern kennzeichne eine
Vogelgattung. Mit der Bezeichnung sei keine positive Symbolkraft
verbunden, welche die Tierbezeichnung als Namen für einen Menschen
geeignet erscheinen lassen könnte. Insbesondere sei die Möwe im
allgemeinen Bewußtsein kein Symbol für Frieden oder Freiheit. Auch auf
religiösem Gebiet komme der Möwe keinerlei Symbolkraft zu; entgegen
der Auffassung der Mutter werde der Heilige Geist nicht durch eine Möwe,
sondern durch eine Taube dargestellt. Buch und Film "Die Möwe
Jonathan" hätten die Vogelgattung der Möwen nicht symbolträchtig
gemacht. Auch sei ein Bezug auf das literarische Vorbild für Dritte
nicht ohne weiteres erkennbar. Ein Vorname Moewe würde das Kind deshalb
herabsetzen.
2. Gegen diese Entscheidung richtet sich die von einem Bevollmächtigten
der Mutter eingelegte weitere Beschwerde.
II.
1. Die weitere Beschwerde ist als unbefristetes Rechtsmittel statthaft
und formgerecht eingelegt (§ 48 Abs. 1, § 49 Abs. 1 Satz 2 PStG, § 27
Satz 1, § 29 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4, § 21 Abs. 2 FGG).
2. Die somit zulässige weitere Beschwerde ist jedoch unbegründet. Die
Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27
FGG, § 550 ZPO) stand.
Das Recht der Vornamenserteilung für ein nichteheliches Kind steht der
allein sorgeberechtigten Mutter als Ausfluß ihres Personensorgerechts (§
1626 BGB) zu (allg. Auffassung, vgl. BayObLGZ 1983, 305, 306 = StAZ
1984, 127 mit weit. Nachw.). Zutreffend hat das Landgericht dargelegt,
daß Moewe nicht als Vorname gewählt werden kann, weil das phonetisch
übereinstimmende Wort Möwe eine Tiergattung bezeichnet und es als
Vorname dessen Träger herabsetzt.
Allgemeinverbindliche Vorschriften über die Wahl und die Führung von
Vornamen gibt es zur Zeit nicht. Die Wahl der Vornamen ist deshalb nur
dadurch beschränkt, daß die Namensgebung die allgemeine Sitte und
Ordnung nicht verletzen darf (BGHZ 29,256,259 = StAZ 1959,210;
30,132,134 = StAZ 1959, 236; 73, 239, 241 = StAZ 1979, 238; BayObLG
a.a.O.). Die Auffassungen hierzu sind einem stetigen Wandel unterworfen.
Während die Bedeutung familiärer Überlieferungen für die Wahl des
Vornamens in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen ist, sind in jüngerer
Zeit vor allem modische Entwicklungen und das Bedürfnis nach
individueller Namenswahl stärker hervorgetreten (vgl. BayObLGZ 1983,
305, 307 und z. B. OLG Hamburg, StAZ 1980, 193 f.; OLG Karlsruhe, StAZ
1981, 26; OLG Zweibrücken, StAZ 1983, 346, 347; Diederichsen, NJW 1981,
705, 709 ff.; Dörner, StAZ 1980, 170,172). Hierbei ist die Auffassung
vorherrschend geworden, daß kein bereits bekannter Vorname gewählt
werden muß, der Sorgeberechtigte vielmehr einen neuen Namen frei
erfinden kann (BayObLG a.a.O.; OLG Braunschweig, StAZ 1978, 184, 185;
OLG Karlsruhe a.a.O. Dörner, StAZ 1973, 237, 239; 1981, 27; Massfeller/Hoffmann,
PStG § 21 Rdnr. 49; Simader/ Diepold, Deutsches Namensrecht C 134;
Soergel, BGB 11. Aufl., § 12 Rdnr. 105; ablehnend Diederichsen, NJW
1981, 705, 710). Voraussetzung für die Zulässigkeit der Wahl eines
neuen Vornamens ist aber stets, daß die gewählte Bezeichnung überhaupt
Namenscharakter hat BayObLG a.a.O. S. 308; OLG Braunschweig, OLG Hamburg
und Soergel, a.a.O. OLG Celle, StAZ 1976, 80 f. Dörner, StAZ 1980, 170,
172; Pfeiffer/Strickert, PStG, § 21 Rdnr. 21; Massfeller/Hoffmann § 21
PStG Rdnrn. 44, 49; vgl. BGHZ 29, 256, 259; 30, 132, 134) und nicht das
Wohl des Kindes beeinträchtigt (vgl. BGHZ 30, 132, 139; BayObLG OLG
Zweibrücken, Dörner a.a.O. Gernhuber StAZ 1983, 265, 267 f.;
Massfeller/Hoffmann § 21 PStG Rdnrn. 46, 49; Simader/Diepold, Soergel
a.a.O. Staudinger, BGB 12. Aufl., § 12 Rdnr. 92). Keine dieser beiden
Voraussetzungen liegt hier vor.
a) Die Bezeichnung Moewe ist als Vorname nicht geeignet,
Bezeichnungen für Gegenstände und Begriffe fehlt regelmäßig der
Namenscharakter (Soergel a.a.O. vgl. Dörner, StAZ 1973, 237, 239, 1980,
170, 172; Gernhuber StAZ 1983, 265, 270). Als Ausnahmen haben sich
Blumennamen für Mädchen und der Vorname Wolf für Knaben eingebürgert;
bei Wolf handelt es sich allerdings um eine Kurzform für Wolfgang und
Wolfram. Der von der Mutter angeführte männliche Vorname Leo ist in
diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, weil Leo als Tierbezeichnung nicht
zur deutschen Sprache gehört, sondern ein lateinisches Wort ist. Die im
vorliegenden, Fall von der Mutter als Vorname gewählte Bezeichnung
Moewe ist - von der geringen Abweichung in der Schreibweise (oe statt ö)
abgesehen - in der deutschen Umgangssprache allgemein die Bezeichnung für
eine Tiergattung. Als Vorname ist sie nicht erkennbar. Der Vorname soll
seinen Träger von Personen mit demselben Familiennamen unterscheiden (Diederichsen,
NJW 1981, 705, 709) und das Geschlecht des Namensträgers kenntlich
machen; durch die Wahl des Vornamens kann zugleich eine Beziehung zu
Vorfahren, Heiligen oder anderen als Vorbild oder Leitbild ausgewählten
Trägern desselben Namens hergestellt werden (BGHZ 30, 132, 135).
Dagegen soll der Vorname seinen Träger nicht zu einer Tiergattung in
Beziehung setzen.
b) Ein Vorname Moewe würde das Wohl des Kindes gefährden, weil er
geeignet ist, seine Persönlichkeit herabzusetzen.
Mit Möwen werden nicht nur angenehme Vorstellungen verbunden. Die überwiegend
schwarz, weiß und grau gefärbten Tiere (Brockhaus Enzyklopädie 17.
Aufl., Meyers Enzyklopädisches Lexikon 9. Aufl., je zum Stichwort
"Möwen") haben sich im Binnenland (BT-Drucks. 7/4285 S. 20;
Brockhaus a.a.O.) so stark ausgebreitet, daß sie vielfach als Plage
empfunden werden und ihnen mit Widerwillen und Abneigung begegnet wird,
weil sie als Schreivögel bekannt sind und überdies durch ihre
Lebensweise Abscheu hervorrufen und als Gefahr für die Volksgesundheit
erkannt sind. Die als nicht schutzwürdig und gar schädlich angesehenen
Tiere konzentrieren sich außerhalb der Brutzeit vorwiegend an Kläranlagen
und Müllkippen (BT-Drucks. a.a.O. Mitzschke/ Schäfer, Kommentar zum
Bundesjagdgesetz, § 19 BJG Rdnr. 16) und übertragen daher ebenso wie
Ratten schädliche Krankheitserreger (Hösel/von Lersner Recht der
Abfallbeseitigung, § 2 AbfG Rdnrn. 14, 15), wobei auch klinisch gesunde
Tiere als Dauerausscheider gefährlich sind (Röderl Hausmann, Die
wichtigsten Zoonosen in synoptischer Darstellung S. 167). Die auf Mülldeponien
lebenden großen Scharen von Möwen verursachen darüber hinaus Schäden
an der jungen Saat (vgl. BGH, NJW 1980,770) und am Wild (vgl. OVG
Koblenz, Jagdrechtliche Entscheidungen Bd. 3 VIII Nr. 32 S. 12). Die
starke Vermehrung der Möwen im Binnenland und an der Küste hat den
Gesetzgeber deshalb bereits im Jahre 1976 veranlaßt, die Jagd auf diese
Tiere auch zur Nachtzeit zuzulassen (§ 19 Abs. 1 Nr. 4 Bundesjagdgesetz
i.d.F. vorn 28.9. 1976, BGBl. I S. 2841; hierzu BT-Drucks. 7/4285 S. 20,
27; Mitzschke/Schäfer a.a.O.).
Die Beurteilung der Mutter, die mit der Möwe nur angenehme
Vorstellungen verbindet, schöpft daher nicht alle Betrachtungsweisen
aus, die in der allgemeinen Vorstellung in diesem Zusammenhang bestehen.
Bei der hier zu treffenden Entscheidung müssen auch die ganz anders
gearteten, abwertenden Gedankenverbindungen berücksichtigt werden, die
weite Teile der Bevölkerung bei diesem Tier herstellen und die
zumindest ebenso nahe liegen wie die idealisierende Betrachtungsweise
der Mutter. Viele Menschen, möglicherweise eines Tages auch das Kind, würden
einen Vornamen Moewe daher als Herabsetzung seines Trägers ansehen.
Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr entscheidend darauf an. daß im
Schrifttum (Diederichsen, NJW 1981, 705, 709; Massfeller/Hoffmann § 21
PStG Rdnr. 46) auf Forschungsergebnisse hingewiesen wird, nach denen
Kinder mit außergewöhnlichen Vornamen weit stärker zu neurotischem
Verhalten neigen als solche mit allgemein verbreiteten Vornamen
Ohne Bedeutung ist, daß das Kind den Vornamen Moewe nicht als einzigen,
sondern als dritten Vornamen erhalten soll. Denn bei der Prüfung des
Wohls des Kindes muß davon ausgegangen werden, daß vielfach (z. B.
gegenüber Behörden) sämtliche Vornamen angegeben werden müssen; vor
allem aber können sämtliche Vornamen gleichwertig als Rufname
verwendet werden.
presented by allY
and jOhn
Über die
Decisions of the Week:
Diese Geschichtensammlung ist
während meiner Promotion an der
Uni Bayreuth entstanden und
erzählt die Geschichte der
Kanzleien R2DO und YO.