Es
ist bereits halb zwei Uhr morgens, S liegt immer
noch wach in seinem Bett und liest in einem
antiken Buch, das ihm allY aus einem ihrer Flohmarktausflüge
mitgebracht hat: Hexenverfolgung im Mittelalter.
Wen interessiert schon dieses Thema, dachte S zunächst.
Aber dennoch konnte er sich nicht davon abhalten,
dieses Buch zu lesen ...
Aufstehen,
Herr! Es ist schon acht Uhr und die Messe beginnt
in einer Stunde. Haben Sie wieder verschlafen?
S schreckt auf. Wo ist er? Das ist nicht sein
Zimmer: Dieser riesige Kerzenleuchter über
seinem riesigen Bett, dieses große Fenster, aus
welchem die Sonne so herrlich herein scheint.
Normalerweise scheint die Sonne doch erst am
Nachmittag in sein Zimmer. Und was macht allY hier?
Wie ist Sie denn nur gekleidet und warum sieht
sie so jung aus? Ist heute Fasching? Wo bin
ich? Was willst Du hier? Was will ich hier?
Was meint Ihr, Herr? Ich sollte euch
wecken, falls ihr wieder mal verschlafen solltet.
Das finde ich nicht witzig, allY! allY, Herr? Was bedeutet das?
Das ist doch Dein Name! Willst Du, dass ich
einen Herzinfarkt kriege? Ich
verstehe, Herr. Ihr habt gestern wieder zuviel
getrunken. Ich bin es doch, eure Magd Inez. Jetzt
solltet ihr aber aufstehen. Ich habe bereits euer
Frühstück vorbereitet. Nur die Ruhe, das
ist bestimmt ein Streich, denkt sich S und steht
auf, nachdem allY das Zimmer verlassen hat. Er fühlt
sich nur so schwer und der Spiegel ... O Gott!
Innerhalb einer Nacht ist er um Jahrzehnte
gealtert und als ob das nicht genug wäre, er ist
auch noch dick! Dieses Nachthemd! Was ist
passiert? Gestern war die Welt noch in Ordnung
und heute ist er in einer anderen Welt! S wird
panisch: Ich muss wieder einschlafen und wenn ich
aufwache, ist alles wieder in Ordnung. Gerade als
S sich in das Bett legt, klopft es an der Tür.
Padre Sebastian? Wir sind es Señor Diaz
und Señor Espinos. Wenn ihr erlaubt, kommen wir
jetzt herein. Padre Sebastian? Ein Mann
tritt ein. Es ist B und W, nur ein wenig
altmodisch gekleidet! S hüpft voller Freude aus
seinem Bett und umarmt zunächst B und dann W,
die nur verdutzt schauen. Wie ich mich
freue Euch zu sehen. Sagt mir bitte was vor sich
geht. Sonst verliere ich noch meinen Verstand!
Geht es Ihnen nicht gut, Padre? Aber natürlich,
jetzt verstehe ich: Sie sind verhext. Wissen Sie,
ich habe gestern Abend ein anonymes Schreiben
bekommen, in welchem eure Magd Inez der Hexerei
bezichtigt wird. Ich wollte es nicht glauben.
Daher wollte ich so schnell wie möglich mit
Ihnen darüber reden. Aber jetzt wo ich Sie so
sehe! Wie verängstigt Sie doch sind! Meine
Zweifel sind wie weggeblasen. Dieses junge Ding,
so früh die Eltern verloren und von Ihnen, der
sein Leben Gott gewidmet hat, aufgenommen.
Schrecklich, vor dem Teufel sind wir nirgends
sicher. Hexerei? Wie? Die
Inquisition, Padre. Sie wissen, dass seit einer
Woche eine Kommission in unserem Dorf Gast ist,
um das Böse auszurotten. Bis gestern hatten wir
keine Beschwerden bekommen und ich fürchtete
schon, ich könnte nie Zeuge einer Vernehmung
werden. Denn ich als gottesfürchtiger Ehrenmann
helfe in dieser Sache. Señor Espinos dagegen
hatte schon mal das Vergnügen, eine Vernehmung
zu leiten. W nickt. Nur leider
dauerte die Vernehmung nicht so lange, sodass
nicht alle Vernehmungsmethoden eingesetzt werden
konnten. Die Frau, die damals der Hexerei
beschuldigt wurde, hatte einfach zuviel geredet.
Da habe ich beschlossen, ihr einfach die Zunge
heraus zu reißen. Die Welt redet einfach zu viel.
Es war trotzdem eine überhastete Entscheidung,
wie ich heute weiß, denn diese Frau hatte noch
nicht gestanden. Verbrannt wurde sie trotzdem.
Wie ich mich freue, eine Hexe gefunden zu
haben, erwidert B. Wir werden Inez
sofort abholen lassen. Einen schönen Tag.
S ist geschockt. Er ist ein alter Priester,
dessen Magd eine Hexe ist. B und W spielen sich
als Großinquisitoren auf. Er steht auf und geht
zum Fenster. Es scheint sich um ein Dorf zu
handeln, vielleicht ein spanisches Dorf?
Er rennt zum Kleiderschrank
an der Ecke. Tatsächlich, dieser Schrank ist
voller Priesterkutten. Er wirft sich ein solches
über und verlässt das Zimmer. Ein nettes Haus,
denkt sich S, als er die Treppen hinunter steigt.
allY kommt
ihm entgegen. Was wollte Señor Diaz, Herr?
Die Blicke von Señor Espinos haben mir Angst
gemacht. Sie führt ihn in die Küche, ein
großes Zimmer mit einem großen Steinofen und
einem gedeckten Tisch. Eigentlich könnte er ja
etwas essen ...
Ich hoffe sehr, Ihr
habt ihm nichts erzählt. Sie wissen, wie sehr
ich Angst habe, seit diese Kommission im Dorf ist.
Ich verstehe nicht. Was hätte ich denn erzählen
sollen? Nun, das mit meinen
hellseherischen Fähigkeiten. Menschen verstehen
das nicht und alles was sie nicht verstehen,
macht ihnen Angst. Nein, ich habe den
beiden nichts erzählt. Nur mir wurde gesagt, sie
werden Dich abholen, weil Dich jemand bezichtigt
hat. Ich verstehe das alles nicht. Voller
Angst und Panik fängt allY an zu schreien und zu weinen.
Sie müssen mir helfen, Padre. Lassen Sie
das nicht zu. Ich bin keine Hexe! Wer tut so
etwas? Aber, was kann ich denn da
tun? Helfen Sie mir zu fliehen!
In diesem Augenblick wird die Eingangstür
aufgerissen, es stürmen einige Soldaten in die Küche,
packen allY an
den Armen und zerren sie aus dem Haus. S stolpert
hinterher. Er kann keinen Gedanken fassen. Wo ist
er hier gelandet?
Einige
Stunden später. Senior Diaz wurde kurzerhand zum
Leiter der Befragung erklärt und man drückt ihm
vor der ersten Vernehmung von allY noch schnell das Buch Der
Hexenhammer in die Hand. Do It
Yourself Handbuch für Hexenbefragung und
verbrennung. Hört sich gut an, denkt sich
B und blättert etwas durch das Buch: Frauen sind
von Natur aus lügnerisch. Ihr Anblick ist schön,
die Berührung garstig, der Umgang tödlich. Sie
sind so ziemlich an jedem Übel schuld. "Muß
ein kluger Kopf gewesen sein, der das geschrieben
hat", murmelt B vor sich hin, als er die
Folterkammer betritt, in der die Magd Inez schon
mit Bangen auf ihn und die Befragung wartet.
Mir bleibt nie ein Geheimnis verborgen. Ich
hole aus jedem jede Information heraus, die ich
benötige. Schweigen hat überhaupt keinen Sinn
und würde nur schreckliche Qualen bereiten. Außerdem
ist es doch sehr befreiend, die Wahrheit über
sich endlich erzählen zu können eröffnet
ihr der Inquisitor.
Doch
so leicht ist allY nicht zu überzeugen Was
soll ich überhaupt gestehen, ich bin doch gar
keine Hexe. Wer kann eine solche Behauptung überhaupt
anstellen? Ich bin ein armes unschuldiges Mädchen.
Was kann ich dafür, dass meine Karten schon so
manche Beziehung richtig vorhergesagt haben?"
Nein, sie wird niemandem den Triumph eines Geständnisses
gönnen. Doch was ist das, der Senior beginnt von
den Qualen auf einer Streckbank zu erzählen. Na,
dem werde ich helfen, denkt sich die Magd und
beginnt, auf ihn einzureden Streckbank
Schön, da wollte ich schon immer einmal
hin. Sind sie nicht auch der Meinung, dass meine
Beine viel zu kurz sind. Und für Schönheit muß
man bekannter weise leiden. Das bringt B völlig
aus dem Konzept Ob bei Dir eine Streckbank
noch etwas nutzt, Kindchen... Wie,
Sie meinen, ich sei hässlich? Ja wissen Sie denn
nicht, dass alle Männer dieses Dorfes verrückt
nach mir sind? Jetzt dämmert es ihr: den
anonymen Brief kann nur eine Frau geschrieben
haben. "Wer foltert hier eigentlich wen",
denkt sich B, schlägt in seinem Buch nach und
geht zur nächsten Foltermethode über. Er
beginnt über den inneren Verwaltungsaufbau der
Inquisition zu philosophieren. Bin ich
Padre Sebastian? denkt sich Inez, Wen
er will er denn damit vergraulen? Mich doch nicht...
und zu B gewandt "Sehr interessant. Ich habe
mich schon immer dafür interessiert ...
2
Stunden später und mit deutlich heiserer Stimme
muß Senior Diaz erkennen, dass er bei allY zu härteren
Maßnahmen greifen muß. Daumenschrauben, Wattebällchen,
womit könnte man allY nur zum Reden bringen? Eine
Feder, um alles aus ihr herauszukitzeln? Doch
warum Gnade walten lassen? Jetzt reicht es
mir mit Dir!", eröffnet der Inquisitor der
Magd, Jetzt lasse ich meinen Ex-Kollegen
Senior Espinos herbeiholen und wie der mit Hexen
verfährt, wissen wir doch beide. Er wird dich für
immer verstummen lassen. Verabschiede dich schon
einmal von Deiner Zunge. allY ist völlig betroffen: Nicht
meine Zunge, alles, nur nicht meine Zunge. Wie
will ich da Padre Sebastian in Zukunft mein Leid
klagen? Als Senior Diaz sich schon zum
Gehen abwendet, bricht es aus ihr heraus: Ja,
ich bin eine Hexe. Mit einem Lächeln auf
den Lippen dreht sich B zu allY um: Wußte ich es doch!
Auf den Scheiterhaufen mit Dir! Von seinen
Triumphgefühlen völlig überwältigt, vergisst
es B doch tatsächlich, die entscheidende
Folgefrage zu stellen: Wer ist der mysteriöse
Herr, mit dem allY Gerüchten zufolge seit ungefähr
einem Monat ihr Bett teilen soll und den sie
verzaubert hat. Schließlich stand davon doch
etwas in dem anonymen Beschwerdebrief...
Wieder
2 Stunden später findet sich die arme allY von
Flammen umgeben auf dem Scheiterhaufen wieder.
Warum kommt nur Padre Sebastian nicht, um
mich zu retten. Verflucht soll er sein! Bis in
alle Ewigkeit soll er mein Gejammer in seinem Ohr
haben. Nie soll er von dem Fluch befreit werden,
außer vielleicht, wenn ... Doch da hörte
ihr Herz langsam zu schlagen auf und es wird
dunkel um sie. Eine Dunkelheit, die eine Wärme
und Behaglichkeit mit sich bringt, die sie in den
letzten Jahren vermisst hatte. Sie dachte an ihn,
den sie nicht hatte haben können...
Und wo bin ich.
Warum helfe ich ihr nicht, denkt S bei sich.
Sie verbrennt und das kann doch alles gar
nicht wahr sein. Warum ist immer kein Feuerlöscher
da, wenn man einen braucht. Und warum klingelt es
jetzt auch noch in meinen Ohren. Völlig
benommen und überaus verwirrt, greift S neben
sich und hat einen Hörer in der Hand. Eine
Frauenstimme: Du S, was ich Dir unbedingt
sagen wollte, ich bin wieder richtig deprimiert.
Ich habe heute wieder nichts geschafft. Ja, und
der 20.5.2005 ist nur noch 19 Tage weg und ich
bin noch immer nicht verheiratet.... Ja,
bin ich denn wirklich verflucht, denkt S
noch so bei sich, als er wieder in die Welt des
Schlafes versinkt.
Und irgendwo anders werden
gerade die Besitztümer einer Hexe verteilt,
darunter auch die von ihr selbst gefertigten Häkeldecken,
die ein großer Inquisitionsmeister für sich in
Anspruch nimmt. Und da war noch die Stimme aus
dem Nirgendwo Nie mehr sollst Du fortan
Freude an Häckeldecken finden. Für immer sollen
sie sich an deine Schandtaten erinnern. Nie mehr
sollst Du ihren Anblick ertragen können!"
presented by allY and jOhn
Über die
Decisions of the Week:
Diese Geschichtensammlung ist
während meiner Promotion an der
Uni Bayreuth entstanden und
erzählt die Geschichte der
Kanzleien R2DO und YO.