BGH - Vorlage an
den EuGH zur Auslegung der Impressumspflicht
BGH
Beschluss vom 26.4.2007
Az. I ZR 190/04
in dem Rechtsstreit ...
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom
25. Januar 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die
Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Pokrant, Dr. Büscher und Dr. Bergmann
beschlossen:
Tenor:
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden zur Auslegung von
Art. 5 Abs. 1 lit. c der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der
Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im
Binnenmarkt (ABl. EG Nr. L 178 vom 17. Juli 2000, S. 1) folgende Fragen zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist ein Diensteanbieter nach Art. 5 Abs. 1 lit. c der Richtlinie
verpflichtet, vor Vertragsabschluss mit einem Nutzer des Dienstes eine
Telefonnummer anzugeben, um eine schnelle Kontaktaufnahme und eine unmittelbare
und effiziente Kommunikation zu ermöglichen?
2. Falls die Frage zu 1 verneint wird:
a) Muss ein Diensteanbieter neben der Angabe der Adresse der elektronischen Post
vor einem Vertragsschluss mit einem Nutzer des Dienstes nach Art. 5 Abs. 1 lit.
c der Richtlinie einen zweiten Kommunikationsweg eröffnen?
b) Bejahendenfalls: Reicht es für einen zweiten Kommunikationsweg aus, dass der
Diensteanbieter eine Anfragemaske einrichtet, mit der der Nutzer sich über das
Internet an den Diensteanbieter wenden kann, und die Beantwortung der Anfrage
des Nutzers durch den Diensteanbieter mittels E-Mail erfolgt?
Gründe:
I. Die Beklagte, ein Versicherungsunternehmen, bietet
Kraftfahrzeugversicherungen an. Sie wirbt Kunden ausschließlich über das
Internet. Auf ihren Internetseiten gibt die Beklagte ihre Postanschrift und ihre
E-Mail-Adresse, nicht aber ihre Telefonnummer an. Individuelle Fragen kann ein
Interessent über eine Internet-Anfragemaske an die Beklagte richten. Die
Antworten versendet die Beklagte per E-Mail. Ihre Telefonnummer teilt sie Kunden
erst nach Abschluss eines Versicherungsvertrags mit.
Der Kläger, der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände -
Verbraucherzentrale Bundesverband e.V., hat geltend gemacht, die Beklagte sei
verpflichtet, im Rahmen ihres Internetauftritts ihre Telefonnummer anzugeben.
Nur so sei die gesetzlich vorgesehene unmittelbare Kommunikation zwischen einem
Interessenten und der Beklagten gewährleistet.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen,
1. Endverbrauchern im Internet unter der Adresse www.d. .de Angebote von
Versicherungsleistungen zu unterbreiten und die Möglichkeit des Abschlusses von
Versicherungsverträgen anzubieten, ohne durch Angabe einer Telefonnummer die
unmittelbare Kommunikation des Verbrauchers mit dem Versicherer zu ermöglichen,
hilfsweise
2. auf der Internetseite mit der Adresse www.d. .de Angebote von
Versicherungsleistungen zu unterbreiten und die Möglichkeit des Abschlusses von
Versicherungsverträgen anzubieten, wie in der Anlage K 2a-K 5b wiedergegeben.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Das Landgericht hat die Beklagte nach dem Hauptantrag verurteilt. Auf die
Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen (OLG Hamm
NJW-RR 2004, 1045).
Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers,
mit der er die Verurteilung der Beklagten weiterverfolgt. Die Beklagte
beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung des Art. 5 Abs. 1 lit. c der
Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000
über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft,
insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (ABl. EG Nr. L
178 vom 17. Juli 2000, S. 1) ab. Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel
ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 234 Abs. 1 lit. b und Abs.
3 EG eine Vorabentscheidung zu den im Beschlusstenor gestellten Fragen
einzuholen.
1. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Bereitstellung einer telefonischen
Kontaktaufnahme sei nicht zwingend erforderlich, um eine unmittelbare
Kommunikation zu ermöglichen. Diese sei auch über die bereitgestellte
Anfragemaske und die Beantwortung der Fragen von Interessenten durch Mitarbeiter
der Beklagten per E-Mail möglich. In die Kommunikation zwischen den
Interessenten und der Beklagten seien selbständig tätige Dritte nicht
zwischengeschaltet. Auch in zeitlicher Hinsicht werde eine unmittelbare
Kommunikation mit der Beklagten erreicht. Diese beantworte Anfragen nach eigenen
Angaben innerhalb von 30 bis 60 Minuten. Nach den Feststellungen des
gerichtlichen Sachverständigen sei eine von diesem gestellte Probeanfrage
innerhalb weniger Minuten von der Beklagten beantwortet worden.
2. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach § 2 Abs. 1
u. 2 Nr. 2 UKlaG und aus § 8 Abs. 1 Satz 1, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG zu, wenn die
Beklagte nach § 5 Satz 1 Nr. 2 TMG zur Angabe einer Telefonnummer im Rahmen
ihrer Internetpräsentation verpflichtet ist.
a) Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UKlaG kann auf Unterlassung in Anspruch genommen
werden, wer in anderer Weise als durch Verwendung oder Empfehlung von
Allgemeinen Geschäftsbedingungen Vorschriften zuwiderhandelt, die dem Schutz der
Verbraucher dienen (Verbraucherschutzgesetze). Verbraucherschutzgesetze i.S. des
§ 2 Abs. 1 Satz 1 UKlaG sind nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UKlaG u.a. die Bestimmungen
zur Umsetzung des Art. 5 der Richtlinie 2000/31/EG. Hierzu zählt die Bestimmung
des § 5 TMG, die an die Stelle des wortgleichen § 6 TDG getreten ist (vgl.
Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes über rechtliche
Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr [Elektronischer
Geschäftsverkehr - Gesetz EGG] BT-Drucks. 14/6098, S. 21; vgl. auch BGH, Urt. v.
20.7.2006 - I ZR 228/03, GRUR 2007, 159 Tz 15 = WRP 2006, 1507 -
Anbieterkennzeichnung im Internet).
Nach Art. 5 Abs. 1 lit. c der Richtlinie 2000/31/EG müssen Diensteanbieter den
Nutzern des Dienstes und den zuständigen Behörden Angaben, einschließlich der
Adresse der elektronischen Post, leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und
ständig verfügbar halten, die es ermöglichen, schnell mit dem Diensteanbieter
Kontakt aufzunehmen und unmittelbar und effizient mit ihm zu kommunizieren.
Diese Bestimmung ist im deutschen Recht durch § 5 Abs. 1 Nr. 2 TMG (= § 6 Abs. 1
Nr. 2 TDG a.F.) umgesetzt worden. Sowohl Art. 5 Abs. 1 lit. c der Richtlinie
2000/31/EG als auch § 5 Abs. 1 Nr. 2 TMG erfordern nach ihrem Wortlaut keine
Angabe einer Telefonnummer, unter der der Diensteanbieter erreichbar ist.
b) Die Angabe einer Telefonnummer könnte jedoch nach Sinn und Zweck des Art. 5
Abs. 1 lit. c der Richtlinie 2000/31/EG erforderlich sein, um eine unmittelbare
und effiziente Kommunikation zwischen dem Diensteanbieter und dem Nutzer zu
ermöglichen.
In der deutschen Rechtsprechung und im Schrifttum ist umstritten, ob die
Möglichkeit zu einer unmittelbaren Kommunikation zwingend voraussetzt, dass eine
telefonische Kontaktaufnahme eröffnet wird (von der Notwendigkeit der Angabe
einer Telefonnummer gehen aus: OLG Köln GRUR-RR 2005, 24; Fezer/Mankowski, UWG,
§ 4-S 12 Rdn. 149; Spindler in Spindler/Schmitz/Geis, TDG, 2004, § 6 Rdn. 25;
Aigner/Hofmann, Fernabsatzrecht im Internet, Rdn. 372; Wüstenberg, WRP 2002,
782, 783; Kaestner/Tews, WRP 2002, 1011, 1013; Ernst, GRUR 2003, 759;
Stickelbrock, GRUR 2004, 111, 113; a.A. Härting, DB 2001, 80, 81; Föhlisch in
Hoeren/Sieber, Handbuch Multimedia-Recht (Stand August 2006), Kap. 13.4 Rdn. 127
f.). Auch die Begründung zum Regierungsentwurf des EGG (BT-Drucks. 14/6098, S.
21) sieht es als erforderlich an, dass der Diensteanbieter eine Telefonnummer
angibt, um eine unmittelbare Kommunikation zu ermöglichen.
Für diese Ansicht spricht, dass nur telefonisch und nicht per E-Mail oder
Telefax eine Kommunikation in Form von Rede und Gegenrede im Sinne eines echten
Dialogs möglich ist. Zudem erleichtert die Einrichtung eines Telefonanschlusses
dem Nutzer die Kontaktaufnahme, der so nicht allein auf eine schriftliche
Kommunikation mit dem Diensteanbieter verwiesen wird.
Andererseits könnten E-Mail, Computer- und Telefax auch den Anforderungen
genügen, die an eine unmittelbare und effiziente Kommunikation zu stellen sind.
Entsprechend wird in der Rechtsprechung angenommen, dass neben der
E-Mail-Adresse die Angabe einer Telefaxnummer ausreicht (österreichischer OGH,
Urt. v. 18.11.2003 - 4 Ob 219/03, MMR 2004, 599, 601 = CR 2004, 684). Die
Notwendigkeit, telefonische Anfragen von Interessenten zu beantworten, würde die
Beklagte zwingen, ihr Geschäftskonzept einer Kundenakquisition ausschließlich
über das Internet zu ändern. Die Beklagte würde in ihrer Geschäftstätigkeit
eingeschränkt, obwohl die Richtlinie 2000/31/EG nach ihren Erwägungsgründen 4
bis 6 gerade auf den Abbau von Hemmnissen, auf die Weiterentwicklung der Dienste
der Informationsgesellschaft in der Gemeinschaft und auf die Nutzung der Chancen
des Binnenmarktes durch den elektronischen Geschäftsverkehr abzielt. Zudem würde
die Einrichtung eines Telefonanschlusses nicht notwendigerweise eine
unmittelbare und effiziente Kommunikation zwischen Nutzer und Diensteanbieter
erlauben. Wird die Telefonnummer als Mehrwertdienstenummer eingerichtet, könnten
potentielle Nutzer durch die damit verbundenen zusätzlichen Kosten von einer
Kontaktaufnahme abgehalten werden. Einschränkungen der Erreichbarkeit in
zeitlicher und kapazitätsmäßiger Hinsicht könnten die Kontaktaufnahme erschweren
und weitere Reglementierungen erfordern.
3. Ist die Beklagte zur Angabe einer Telefonnummer nach Art. 5 Abs. 1 lit. c der
Richtlinie 2000/31/EG nicht verpflichtet, wäre das mit dem Hilfsantrag zu 2
verfolgte Verbot auszusprechen, wenn die Beklagte nach dieser Bestimmung der
Richtlinie verpflichtet wäre, neben der Kontaktmöglichkeit im Wege der
elektronischen Post einen weiteren Kommunikationsweg zu ihr zu eröffnen und die
von ihr eingerichtete Anfragemaske diesen Anforderungen nicht genügt.
a) Die Notwendigkeit, einen zweiten Kommunikationsweg zu eröffnen, ist in Art. 5
Abs. 1 lit. c der Richtlinie 2000/31/EG nicht ausdrücklich vorgeschrieben. Auch
der Formulierung "einschließlich seiner Adresse der elektronischen Post" lässt
sich das Erfordernis eines zweiten Kommunikationswegs neben der Angabe der
E-Mail-Adresse nicht zwingend entnehmen. Allerdings hat der österreichische
Oberste Gerichtshof zu § 5 Abs. 1 Nr. 3 des österreichischen E-Commerce-Gesetzes
(öECG), durch das die Richtlinie 2000/31/EG umgesetzt worden ist (§ 31 Abs. 2
öECG), angenommen, neben der Angabe der elektronischen Postadresse sei
mindestens ein anderer individueller Kommunikationsweg erforderlich (öOGH MMR
2004, 599, 601).
b) Sollte ein zweiter Kommunikationsweg nach Art. 5 Abs. 1 lit. c der Richtlinie
2000/31/EG vom Diensteanbieter eingerichtet werden müssen, kommt es für die
Entscheidung des Streitfalls darauf an, ob neben der Angabe der E-Mail-Adresse
die Einrichtung einer Anfragemaske, mit der sich der Nutzer über das Internet
mit schriftlichen Anfragen an den Diensteanbieter wenden kann, der diese nach
seiner Ankündigung innerhalb einer Stunde per E-Mail beantwortet, den
Anforderungen an eine schnelle Kontaktaufnahme und unmittelbare und effiziente
Kommunikation i.S. von Art. 5 Abs. 1 lit. c der Richtlinie 2000/31/EG genügt.
Zwar hat nicht jeder Internetnutzer eine eigene E-Mail-Adresse. Gleichwohl
spricht für eine solche Auslegung, dass von einem Internetnutzer erwartet werden
kann, dass er über die für die Kommunikation im Internet üblichen
Empfangseinrichtungen verfügt, wenn er sich an einen nach seinem Geschäftsmodell
vor Vertragsschluss nur im Internet präsenten Diensteanbieter wenden will.
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