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Widerrufsrecht im Fernabsatz:
Erstattungspflicht für Hinsendekosten
LG Karlsruhe
Urteil vom 19.12.2005
Az. 10 O 794/05
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Erhebung einer Versandkostenpauschale durch die
Beklagte in Fällen der Rückabwicklung von Fernabsatzverträgen.
Der Kläger ist eine rechtsfähige Verbraucherorganisation, welche durch
Bescheid des Bundesverwaltungsamts [...] in die Liste qualifizierter
Einrichtungen gemäß § 22a AGBG a.F. (heute § 4 UKIaG) eingetragen wurde.
Die Beklagte betreibt einen Versandhandel. In ihren Allgemeinen
Geschäftsbedingungen heißt es u.a.:
„Kauf auf Probe
Bei .... kaufen Sie auf Probe, d.h. Sie können gelieferte Ware ohne
Angabe von Gründen innerhalb von 14 Tagen zurückgeben. Der
Kaufvertrag/Kreditkaufvertrag wird ab Erhalt der Ware durch Ihre
Billigung wirksam, spätestens jedoch nach Ablauf dieser 14-tägigen
Frist,
Lieferung und Versand kosten
Die Firma ... trägt einen Großteil der Kosten für die sorgfältige
Verpackung und die zuverlässige Zustellung der Ware. Ihr
Versandkostenanteil beträgt pro Bestellung aktuell nur pauschal €4,95."
Die Beklagte berechnet den Versandkostenanteil
auch denjenigen Kunden, die den Vertrag aufgrund ihnen zustehender
Widerrufs- bzw. Rückgaberechte rückabwickeln. In Fällen, in denen der
Kaufpreis und der Versandkostenanteil noch nicht bezahlt wurden, stellt die
Beklagte den Kunden Rechnungen über den Versandkostenanteil aus; ansonsten
erstattet sie den Kaufpreis und behält den Versandkostenanteil ein.
Der Kläger trägt vor, die Berechnung der Versandkostenpauschale neben dem
Kaufpreis sei unzulässig und ein Verstoß gegen § 2 Abs. 2 Nr. 1 UKIaG, §§
312d, 355 ff. BGB. Der Versand sei Bestandteil des Kaufvertrages, da der
Käufer keine Möglichkeit habe, die Ware bei der Beklagten abzuholen, weshalb
die Versendung der Ware für das Zustandekommen des Kaufvertrages zwingend
notwendig sei. Es handele sich bei der Versendung der Ware nicht um ein
eigenständiges Angebot. Das Gesetz ginge davon aus, dass der Verkäufer neben
dem Kaufpreis auch den Versand schulde und dessen Kosten grundsätzlich zu
tragen habe, wie sich aus §§ 312c Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 240 EGBGB, § 1 Abs.
1 Nr. 8 BGB-InfoV ergebe. Dem Käufer stellten sich die Versandkosten als
Teil des Kaufpreises dar. Die Beklagte verstoße außerdem gegen Art. 6 Abs. 1
und 2 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im
Fernabsatz (im Folgenden FernabsatzRL), wonach die Kosten der Rücksendung
der Ware die einzigen Kosten seien, die dem Verbraucher infolge der Ausübung
seines Widerrufsrechts auferlegt werden könnten. Durch die Praktik der
Beklagten werde der Verbraucher insbesondere bei geringwertigen Waren von
der Ausübung seines Widerrufs- bzw. Rückgaberechts abgeschreckt.
Der Kläger beantragt daher,
der Beklagten bei Meidung eines für jeden
Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,-
EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder der Ordnungshaft bis zu 6 Monaten,
im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt 2 Jahren, zu
verhängen gegen die Geschäftsführer der Beklagten, zu untersagen, im
geschäftlichen Verkehr künftig Verbrauchern bei Fernabsatzgeschäften
nach Ausübung des Widerrufs- bzw. Rückgaberechts (§§ 355, 356 BGB) die
Kosten für die Hinsendung der Ware (Versandkostenpauschale) in Rechnung
zu stellen oder im Falle der bereits erfolgten Zahlung diese Kosten
nicht zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
Sie trägt vor,
beim Versendungskauf gemäß § 447 BGB, welcher im Rahmen des
Verbrauchsgüterkaufs gelte, liege eine Schickschuld vor; dies bedeute, dass
der Käufer verpflichtet sei, die Hinsendekosten zu übernehmen. Diese Pflicht
bestünde neben der Pflicht des Käufers, den Kaufpreis zu zahlen. Da die
Hinsendung Teil der empfangenen Leistung des Käufers sei, müsse er im Fall
des Widerrufs Wertersatz dafür leisten, da die Herausgabe nicht möglich sei.
Der Gesetzgeber habe dem Unternehmer nur die Rücksendekosten überbürdet; nur
diese seien in § 357 Abs. 2 Satz 2 BGB geregelt. §§ 346 BGB und 357 BGB
seien keine verbraucherschützenden Normen und damit nicht in den
Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 UKIaG einzubeziehen.
...
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen
Anspruch auf Unterlassung der Erhebung von Kosten für die Hinsendung der
Ware (Versandkosten) nach Ausübung des Widerrufs- bzw. Rückgaberechts (§§
355, 356 BGB) aus § 2 Abs. 1 Satz 1 UKIaG.
1. Der Kläger, ein rechtsfähiger Verein, ist nach §§ 3 Abs, 1 Nr. 1, 4 UKIaG
aktiv legitimiert und handelt im vorliegenden Fall im Interesse des
Verbraucherschutzes, § 2 Abs. 1 Satz 1 UKIaG .
2. Mit der Berechnung der Versandkostenpauschale im Falle der Rückabwicklung
des Vertrags gemäß §§ 355, 356 BGB handelt die Beklagte Vorschriften
zuwider, die dem Schutz der Verbraucher dienen. Die Hinsendekosten dürfen
dem Verbraucher im Fall der Ausübung seiner Widerrufs- bzw. Rückgaberechte
nicht auferlegt werden.
a) Verbraucherschutzgesetze im Sinn des § 2 UKIaG sind nach dessen Absatz 2
Nr. 1 insbesondere die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die für
Fernabsatzventräge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher gelten,
somit die §§ 312d, 355 ff. BGB. Die Anspruchsgrundlage für die
Rückerstattung der Versandkosten ergibt sich bei richtlinienkonformer
Auslegung aus §§ 357 Abs. 1 Satz 1, 346 Abs. 1 BGB. Dabei ist dem OLG
Nürnberg (Beschl. v. 05.10.2004, Az. 3 U 2464/04, NJW-RR 2005, 1581) zwar
zuzugeben, dass § 346 BGB an sich keine verbraucherschützende Norm
darstellt; doch handelt es sich bei § 357 BGB, der auf der Umsetzung der
verbraucherschützenden FernabsatzRL beruht und lediglich auf § 346 BGB
verweist, unzweifelhaft um eine verbraucherschützende Norm.
b) Der Gesetzgeber hat zwar die Hinsendekosten - im Gegensatz zu den
Rücksendekosten (§ 357 Abs. 2 BGB) - nicht ausdrücklich geregelt. Eine
richtlinienkonforme Auslegung der §§ 357, 346 BGB ergibt aber, dass der
Verbraucher die Hinsendekosten nach §§ 357 Abs. 1 Satz 1, 346 Abs. 1 BGB
zurückverlangen kann. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 FernabsatzRL sind
nämlich die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren die einzigen
Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts
auferlegt werden können; die vom Verbraucher geleisteten Zahlungen hat der
Lieferer im Fall des Widerrufs kostenlos zu erstatten. Daraus ergibt sich,
dass die Hinsendekosten dem Verbraucher gerade nicht auferlegt werden
können; der Wortlaut der Richtlinie ist insofern eindeutig. Andernfalls
bestünde auch gerade bei geringwertigen Waren die Gefahr, dass der
Verbraucher von der Ausübung seiner Widerrufs- und Rückgaberechte abgehalten
wird; dies würde dem von der FernabsatzRL bezweckten Schutz widersprechen
(vgl. zum Ganzen Brönneke, Abwicklungsprobleme beim Widerruf von
Fernabsatzgeschäften, MMR 2004, 127, 129; Kaestner/Tews, Praktische Probleme
des Fernabsatzrechts, WRP 2005, 1335, 1340).
Der Unternehmer kann auch nicht etwa geltend machen, die Versendung sei Teil
seiner Leistung gewesen, für welche der Verbraucher mangels
Herausgabefähigkeit Wertersatz nach §§ 357 Abs. 1 Satz 1, 346 Abs. 2 Satz 1
Nr. 1 BGB zu leisten habe. Auch dieser Argumentation steht die
Fernabsatzrichtlinie entgegen, welche zur Auslegung des § 357 BGB
heranzuziehen ist. Denn nach Art. 6 Abs. 2 FernabsatzRL hat der Lieferer im
Fall des Widerrufs die vom Verbraucher geleisteten Zahlungen eben mit
Ausnahme der unmittelbaren Kosten der Rücksendung kostenlos zu erstatten. Da
die Versandkostenpauschale nicht zu den unmittelbaren Kosten der Rücksendung
gehört, kann sie also nicht dem Verbraucher auferlegt werden. Eine davon zu
trennende Frage ist die Frage nach Weitersatz durch Ingebrauchnahme der
Sache, welche in § 357 Abs. 3 BGB geregelt ist.
c) Aus § 447 BGB, welcher den Gefahrübergang für den Versendungskauf regelt,
ergibt sich keine Regelung der Hinsendekosten bei Fernabsatzverträgen. § 448
Abs. 1 BGB legt dem Käufer die Kosten für die Versendung für den Fall auf,
dass der Kaufvertrag bestehen bleibt; für den Fall der Rückabwicklung eines
Verbrauchervertrages nach Ausübung von Widerrufs- und Rückgaberechten gelten
jedoch §§ 355 ff. BGB.
d) Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Versendung der
Ware eine eigenständige Pflicht begründe. Soweit sie damit geltend machen
will, dass ein getrennter Versendungsvertrag abgeschlossen werde, ist dies
beim Versandhandelskauf zu verneinen. Beim Versandhandelskauf wäre eine
Aufspaltung des Rechtsverhältnisses zwischen Unternehmer und Verbraucher in
einen Kaufvertrag und einen Versendungsvertrag mit der Folge, dass bei
Widerruf des Kaufvertrags nur der Kaufpreis, nicht aber die Hinsendekosten
zurückzuerstatten wären, eine unnatürliche Aufspaltung eines aus Sicht des
Verbrauchers einheitlichen Vorganges. Aus Sicht des Verbrauchers handelt es
sich bei den bezahlten Versandkosten ebenfalls um seine Leistung an den
Unternehmer, weshalb sie ihm nach §§ 357 Abs. 1 Satz 1, 346 Abs. 1 BGB
zurückzuerstatten ist (OLG Frankfurt, Urt v. 28.11.2001, Az. 9 U 148/01; das
Urteil wurde insgesamt durch den BGH, Urt. v. 19.03.2003, Az. VIII 2R
295/01, NJW 2003, 1665, aufrechterhalten). Jedenfalls dann, wenn eine Ware
ausschließlich auf dem Versandweg bezogen werden kann, bietet der Verkäufer
nicht zusätzlich zu der Ware auch deren Versendung an, sondern stellt die
Notwendigkeit, Versandkosten zu tragen, einen Bestandteil des Angebots der
einzelnen Ware dar (OLG Köln, Urt v. 06.08.2004, Az. 6 U 93/04, GRUR-RR
2005, 89, 90)
Die Konstruktion eines getrennt zu behandelnden Versendungsvertrages wäre
zudem ein gemäß § 312f BGB unzulässiges Umgehungsgeschäft. Nach § 312f BGB
darf von den Vorschriften des Untertitels, zu welchem auch § 312d BGB und
über dessen Verweisung §§ 355 ff. BGB gehören, nicht zum Nachteil des
Verbrauchers oder Kunden abgewichen werden; die Vorschriften finden auch
Anwendung, wenn sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden.
Gleiches gilt für eine Ausgestaltung des Vertrages als Kauf auf Probe. Auch
eine Konstruktion der Art, dass der Kaufvertrag ab Erhalt der Ware durch die
Billigung des Kunden, spätestens jedoch nach Ablauf einer 14-tägigen
Rückgabefrist wirksam werden soll, so dass ein vor Ablauf der Frist
erklärter Widerruf ins Leere ginge und eine Abrede über die Übernahme des
Versandkostenanteils gesondert bestehen bliebe, liefe auf eine Umgehung des
Schutzes hinaus, welcher durch §§ 312d, 355 ff. BGB erreicht werden soll,
und ist daher gemäß § 312f BGB unzulässig (Brönneke, Abwicklungsprobleme
beim Widerruf von Fernabsatzgeschäften, MMR 2004, 127, 129f.).
3. Die Berechnung bzw. Einbehaltung des Versandkostenanteils durch die
Beklagte verstößt daher gegen §§ 357 Abs. 1 Satz 1, 346 Abs. 1 BGB. Der
Unterfassungsanspruch des Klägers nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UKIaG ist
begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 Satz 1 ZPO.