Abmahnung - Urteil zu Rechtsmissbrauch und
Massenabmahnung
LG
Bielefeld
Beschluss vom 2.6.2006
Az. 15
O 53/06
Tatbestand:
Die Klägerin vertreibt Druckerzubehör über das Internet ... Auch die Beklagte
handelt u.a. mit Druckerzubehör, seit Februar 2006 auch per Internet ...
Im Internetangebot der Klägerin ist bei den Preisen der einzelnen Produkte nicht
angegeben, ob die Umsatzsteuer enthalten ist. Angaben zu Versandkosten befinden
sich nicht bei den einzelnen Produkten; zu den Versandkosten finden sich Angaben
(lediglich) in den AGB der Klägerin.
Mit Schreiben ihrer Anwälte vom 17.03.2006 mahnte die Beklagte die Klägerin ab
und stellte sich dabei auf den Standpunkt, der Internetauftritt der Klägerin
verstoße wegen unzureichender Angaben zu Umsatzsteuer und Versandkosten gegen §
1 Abs. 2 PAngV (und damit auch gegen § 4 Nr. 11 UWG), Der Aufforderung zur
Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung und zur Zahlung von
Anwaltskosten in Höhe von 756,09 € (1,3-Geschäftsgebühr nach einem
Gegenstandswert von 10.000,00 €, zuzüglich Mehrwertsteuer) kam die Klägerin
jedoch nicht nach.
Vielmehr sprach die Klägerin über ihre Anwälte am 27.03.2006 eine Gegenabmahnung
aus und warf der Beklagten rechtsmißbräuchliches Verhalten im Sinne des § 8 Abs.
4 UWG vor. Dem wiederum widersprach die Beklagte. Die Klägerin hat daraufhin
eine negative Feststellungsklage erhoben und den Antrag angekündigt,
festzustellen, dass die Beklagte keinen Anspruch gegenüber der Klägerin hat,
dass diese es zu unterlassen habe, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des
Wettbewerbs beim Internethandel mit Druckern und Druckerzubehör entgegen § 1
Abs. 2 PAngV Preise ohne Hinweis darauf, dass diese Mehrwertsteuer und sonstige
Preisbestandteile enthalten und ob Liefer- und Versandkosten anfallen,
anzugeben.
Diese Feststellungsklage haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung
übereinstimmend für erledigt erklärt, nachdem die Beklagte Widerklage erhoben
hat, mit der sie den vorprozessual mit Schreiben vom 17.03.2006 erhobenen
Unterlassungsanspruch weiterverfolgt.
Die Beklagte macht geltend: Aus § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 PAngV ergebe sich die
Verpflichtung, bei Angeboten im Rahmen eines Fernabsatzgeschäfts in direkter
Verbindung mit dem Preis (jedenfalls in unmittelbarer räumlicher Nähe zum Preis)
anzugeben, ob die Umsatzsteuer enthalten sei. Diesen Anforderungen werde das
Internetangebot nicht gerecht. Wegen der Versandkosten entspreche das
Internetangebot der Klägerin gleichfalls nicht den gesetzlichen Anforderungen,
wie sie sich aus § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und S. 2 PAngV ergäben.
Angaben zu den Versandkosten seien nämlich in unmittelbarer Nähe zu den
beworbenen Artikeln zu machen. Hinweise in den abrufbaren AGB reichten nicht
hin. Die Beklagte beantragt, die Klägerin unter Androhung der gesetzlichen
Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu
Zwecken des Wettbewerbs beim Internethandel mit Druckern und Druckerzubehör
entgegen § 1 Abs. 2 PAngV Preise ohne Hinweis darauf, dass diese die
Umsatzsteuer enthalten, anzugeben, und keinen Hinweis auf die anfallenden
Versandkosten anzugeben, den der Kunde bei der Bestellung notwendig passiert,
wie auf der Internetseite [...] geschehen.
Die Klägerin beantragt, die Widerklage abzuweisen.
Sie meint, dass die Versandkosten nicht notwendig neben dem Warenpreis anzugeben
seien, und vertritt im übrigen den Standpunkt, die Beklagte handele
rechtsmißbräuchlich. Dazu trägt sie vor: Innerhalb weniger Tage habe die
Beklagte über ihre Anwälte mindestens 600 Abmahnungen zu (angeblichen) Verstößen
gegen die PAngV versandt. Inhaltlich seien die Abmahnungen im wesentlichen
gleichlautend.
Es handele sich offenbar um Serienabmahnungen in Routineangelegenheiten; das
lasse auf ein rechtsmissbräuchliches Gebührenerzielungsinteresse schließen.
Die Beklagte verwahrt sich gegen den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs und macht
geltend: Sie habe bei einer Vielzahl von Mitbewerbern Verstöße gegen die
Vorschriften der Preisangabenverordnung sowie zu den Regelungen über
lmpressumspflicht und Widerrufsbelehrungen festgestellt.
Legitimerweise habe sie deshalb einen Anwalt mit der Durchsetzung Ihrer
Interessen beauftragen dürfen. Allein aus einer Vielzahl von Abmahnungen in
ähnlich gelagerten Fällen könne nicht auf Rechtsmissbrauch geschlossen werden.
Abgesehen davon bestreitet die Beklagte die von der Klägerin behauptete Anzahl
der Abmahnungen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien
wird auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Widerklage ist unzulässig. Der Beklagten fehlt die Klagebefugnis, da ihr
Vorgehen als rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG zu bewerten ist.
Rechtsmißbrauch nach § 8 Abs. 4 UWG liegt vor, wenn der Anspruchsberechtigte mit
der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht
schutzfähige Interessen verfolgt und diese als die eigentliche Triebfeder und
das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen; ein Fehlen oder
vollständiges Zurücktreten legitimer wettbewerbsrechtlicher Interessen ist dabei
nicht erforderlich (vgl. etwa OLG Hamm GRUR-RR 05, 348 ff.).
Ein wesentliches Indiz für Rechtsmissbrauch liegt in einem massenhaften Vorgehen
(Vielzahl von Abmahnungen), wie es hier festzustellen ist. Dabei bedarf es
keiner Klärung, ob die - teilweise spekulativen - Darlegungen der Klägerin, es
seien innerhalb weniger Tage mindestens 600 ähnlich gelagerte Abmahnungen
versandt worden, zutreffen.
Jedenfalls rund 100 Abmahnungen innerhalb weniger Tage, die sämtlich die auch
hier gerügten Verstöße betreffen, hat die Klägerin mit der dem Schriftsatz vom
27.04.2006 beigefügten tabellarischen Aufstellung belegt. Dadurch sind
gravierende Umstände für einen Rechtsmissbrauch substantiiert vorgetragen, denen
die Beklagte konkrete Einwände nur in zwei Fällen (keine Abmahnungen unter den
Aktenzeichen 859/O6 und 866/06) entgegengesetzt hat.
Ob bereits die danach gegebene Vielzahl von Abmahnungen die Feststellung von
Rechtsmissbrauch trägt, mag zweifelhaft sein. Hinzu kommen weitere Umstände, die
sachfremde Motive der Beklagten indizieren: Es ist nämlich sehr fraglich, ob die
geltend gemachten Unterlassungsansprüche bestehen.
Was die vermissten Angaben zur Umsatzsteuer angeht, ist es zumindest
zweifelhaft, ob sie geeignet wären, den Wettbewerb nicht nur unerheblich zu
beeinträchtigen (vgl. § 3 UWG). Denn der Verbraucher ist die Angabe von
Endpreisen gewöhnt (vgl. § 1 Abs. 1 S. 1 PAngV).
Auch wenn die von § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 PAngV geforderten zusätzlichen Angaben
fehlen, wird der Verbraucher angegebene Preise deshalb im Zweifel so verstehen,
als sei die Umsatzsteuer enthalten.
Wegen der Angaben zu den Versandkosten hat die Beklagte zwar die Entscheidungen
verschiedener Oberlandesgerichte, insbesondere des OLG Hamburg (vgl. etwa
GRUR-RR 05, 27 ff.) für sich.
Höchstrichterlich geklärt sind die maßgebenden Fragen jedoch noch nicht; die
Ausführungen des BGH - wenn auch zu einem begrenzten Fragenkreis - im Urteil vom
05.10.2005 (NJW 06, 211 ff.) lassen durchaus die Schlussfolgerung zu,
Informationen über die Versandkosten seien nicht notwendig in unmittelbarem
Zusammenhang mit dem Warenpreis zu machen.
Im übrigen stellt sich auch hier die Frage nach der Erheblichkeit (vgl. § 3
UWG), wenn die Versandkosten jedenfalls in den AGB angegeben werden.
Nach allem ist das Bestehen der erhobenen Unterlassungsansprüche zweifelhaft.
Unter diesen Umständen entspräche es „normalem wettbewerbsrechtlichen
Verhalten", einige Fälle exemplarisch herauszugreifen, um die aufgeworfenen
Fragen gegebenenfalls einer -höchstrichterlichen - Klärung zuzuführen.
Massenhaftes Vorgehen deutet hingegen auf sachfremde Erwägungen hin,
insbesondere in dem Sinne, dass das Verhalten darauf angelegt ist, ohne große
Risiken möglichst viel an Gebühren, wie sie mit den Abmahnungen eingefordert
wurden, zu erzielen.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO;
wäre sie nicht durch die Widerklage erledigt worden, hätte die negative
Feststellungsklage der Klägerin Erfolg gehabt.
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